SON OF THE VELVET RAT – Red Chamber Music (monkey/Rough Trade) Voe 11.11.11

Musik. Einfach nur: Musik. Klang. Atmosphäre. Auf das Wesentliche reduziert, ohne Zierrat, Finten und trickreiche Ablenkungsmanöver. Doch mit Wörtern, nein: Worten gespickt, mit Texten verzahnt, mit einer Stimme versehen. Purismus, das ist ein Stichwort, das rasch ins Spiel kommt beim Sohn der Samtratte. Und: Schönheit. „…beautiful and somber music, their lyrics are pure poetry“, bringt Peter Jesperson (Ex-Producer & -Manager The Replacements) die Sache auf den Punkt.

Tatsächlich geht in diesem Fall die Praxis – das Finden, Schreiben, Spielen im Studio, auf der Bühne, für sich privat – Hand in Hand mit der Reflexion, dem Soulsearchin’, dem rückhaltlosen Nachdenken über die Kunstform „Song“. Von Zeit zu Zeit gebiert dieser Prozess eine Kollektion von Text- und Musikstücken, die sich in die Pipelines, Warenkreisläufe und Vertriebswege der Konsumwelt einspeisen lassen. Lieber wäre Georg Altziebler, dem „besten Singer/Songwriter, den das Land hervorgebracht hat“ (Andreas Russ, „Kurier“), wohl eine magische Weiterreichung seines Oeuvres: eine Darbietung, die sich direkt ins Herz bohrt. Eine Melodie, die ewig nachschwingt. Eine Songzeile, die einen nicht mehr loslässt.

Wer aber sagt, dass gerade das nicht gelingen könnte? Son Of The Velvet Rat krönen mit ihrem neuen, sechsten Album „Red Chamber Music“ eine ohnehin schon beeindruckende Diskographie. Verdichten und erweitern mit Songs wie „Moment Of Fame“ („We may even shoot our way to freedom / if it wasn’t for a hopeless cause“),„Feed Your Dream“,„Little Flower“ oder „Lovesong #9“ das Vokabular ihrer Musik abermals. Beim Höhersteigen im Tower Of Song hält Georg Altziebler, Stimme und Songwriter von SOTVR, gemeinsam mit seiner langjährigen Begleiterin Heike Binder (Stimme, Keyboard, Akkordeon), gelegentlich inne auf einer der Ausblicksplattformen, die Augen offen, die Sensoren weiter auf Empfang gestellt. Ein Innehalten, das es offenbar ermöglicht, den Charakter von SOTVR und einem Album wie „Red Chamber Music“ einzufangen, ihn in seiner ganzen Komplexität auszuformulieren.

Ausformuliert ist „Red Chamber Music“ definitiv. Vom ersten Song „Prayers (You’re Not Bold Enough To Say)“ mit seinem aufrichtigen Wunsch („I wish them well“) bis zum abschließenden „Silence Is A Crown“ („A golden glimmer shining / in the eye of a songbird“) fließen diese zehn Stücke wie mühelos, ohne erkennbare Anstrengung dahin. Sie offenbaren unterwegs fast beiläufig, aber zwingend ihre Schönheit, die Emotionen in ihrem Kern, gewonnen oft aus kleinen inneren Bewegungen, unprätentiösen Erkenntnissen („Hope is a sweet little sting“ heißt es etwa im Opener).

So gültig ausformuliert ist „Red Chamber Music“, dass es schwer fällt, diesen Fluss wieder zu verlassen, auszusteigen aus dem reichen Mosaik, das wie ein großer Roman, wie ein guter Film so vieles enthält und anrührt, einem das Gefühl gibt, etwas zu verstehen, mehr zu verstehen, eventuell sogar: alles. Nicht nur aus diesem Grund ist „Red Chamber Music“ ein echtes Album, keine zufällige Ansammlung von Stückwerk.

Altziebler, der „Red Chamber Music“ selbst  produziert hat (bei „Animals“ 2009 war noch Nashville-Connect Ken Coomer, der diesmal „nur“ die Drums bediente, am Produzenten-Ruder), spricht vom ersten seiner Alben, mit dem er vollständig zufrieden sei, an dem er nichts mehr anrühren oder verändern würde. Bis hin zu den Vocals, wo er einen deutlich spürbaren, hörbaren Punkt erreicht hat, allzeit genau so singt, wie diese Songs gesungen gehören, in allen vorstellbaren Welten. „Ich bilde mir ein zu wissen, wenn ich es nicht mehr besser, sondern nur mehr anders machen kann“, sagt er. Das zu hören ist ein Erlebnis.

Als die nun vorliegenden Songs im Sommer 2010 langsam Gestalt anzunehmen begannen, schuf sich Georg Altziebler einen Raum. Einen Raum für das Sammeln und Versuchen von Zeilen, Gedanken, Harmonien, Akkordfolgen und ersten Melodien. Dieser Raum, der tiefe Keller eines Altbauhauses in Graz wurde knallrot gestrichen und gab letztlich dem vorliegenden Album seinen Titel.

Zusätzliche Aufnahmen fanden in Los Angeles, New York und Nashville statt. Nicht zu unterschätzen ist denn auch der Reiz, den die verschiedenen Kollaborateure auf „Red Chamber Music“ ausüben. Es sind große Momente, wenn in „White Patch Of Canvas“ Lucinda Williams, regierende broken Queen of Alternative Country, ihre Stimme mit Altziebler erhebt („I’m just a blank reflection in your eyes / a message straight & cold & purified“). Oder wenn in „Vampire Song“ zwei mazedonische Bläser, Kiril Kuzmanov und Trajce Velkov, eine Musik, die gerne  als „Americana“ verhandelt wird, ganz woanders hintragen. Die Melancholie, die man SOTVR gerne und oft zuschreibt, tanzt dazu ausgelassen auf dem Tisch – „We don’t look as good, as we did before, we don’t smell that good, we’re foul to the core / our flesh may be moldy / but our spirits are free…”

Our spirits are free? Vielleicht handeln die zehn Schlüsselsongs von „Red Chamber Music“ genau davon. Einer Freiheit und Offenheit, die Genre-Zuschreibungen wie Chanson, Alternative Country oder Americana Noir für diese Musik obsolet machen, als Definition dieses Rührens an den Dingen viel zu klein, viel zu eng klingen. Das ist elektrifizierte und elektrifizierende Kammermusik. Botschaften von und aus der Welt, von der Seele, von Nöten, von Träumen, den willkommenen und schrecklichen, von der Langeweile, der Leere, von der Liebe (nicht notwendigerweise der Georg Altzieblers), allesamt von einer erschütternden und erhebenden Schönheit, dabei gleichzeitig voll Leichtigkeit und zartem Humor.

Und in „7 Stars“ findet sich dann noch eine der schönsten „politischen“ Zeilen seit langem: „It’s all good if you have those seven stars at hand / one in the middle, three stars to each side / if you must share, you can spare one for the homeless, put three in your pocket and ride away“. (Rainer Krispel)