Christian Naujoks – True Life/In Flames (Dial / Kompakt – 27.02.12)

True Life/In Flames – nach seinem selbstbetitelten Debut aus dem Jahr 2009 das zweite Album von Christian Naujoks – klingt wie aus einem Guss. Am Anfang ist alles ganz leise und am Ende auch. Es gibt ein Klavier, gespielt von Naujoks; es gibt die Marimba von Martin Krause; und dazu: Naujoks’ Stimme – einmal, zweimal. Man könnte dieses Album als Suite mit verschiedenen Sätzen bezeichnen – geklammert ebenso von der auffälligen Reprise seiner beiden songhaftesten Stücke, „Moments I“ und „Moments II“, wie auch von der sparsam-gleichbleibenden Instrumentierung und dem Verweis auf den Ort der Aufnahme in einer Schwarz-Weiß-Fotografie auf dem Cover: die Laeiszhalle der Philharmonie Hamburg. Auf der fast höhlenartigen Bühne stehen Klavier und Marimba, umgeben von Notenständern, Mikrofonen und gestapelten SE 68 SU-Stühlen von Egon Eiermann. Echte Instrumente unter sich.
True Life/In Flames verzichtet anders als Naujoks’ Erstling konsequent auf jeden Einsatz elektronischer Klangerzeugung. Stattdessen steht hier die konsequente Stilisierung dessen, was man „organischen Klang“ nennen könnte. Analog dazu wird die Figur des Bedroom-Producers von der des Komponisten und Pianisten abgelöst. Eine konzentrierte Konzertatmosphäre bestimmt das Bild. Stringente Serialität verbindet sich auf eine Weise mit Moll-Romantik, wie man sie auch in einer bestimmten (und eher populären) Ecke klavierbasierter Neuer Musik des 20. Jahrhunderts, bei Michael Nyman, Wim Mertens, Arvo Pärt oder György Kurtág, finden kann. Tiefe Kontemplation, Pathosschwere des Ausdrucks gepaart mit intellektueller Klarheit. Jede Note hat Gewicht, jeder Klang eine Bestimmung.
Doch auf Naujoks’ Bühne steht nicht zuletzt dieser tief aus sich heraus schöpfende Künstler selbst, dessen Bild hier evoziert wird. Zur Aufführung gebracht wird in einer reflexiven Volte die große Geste ebenso wie die Chimäre vom „Organischen“ und sowieso alles Authentische, das im Titel als sich verzehrendes, als brennendes und echtes Leben angekündigt wurde. Denn Naujoks hat seinem Werk, das wie aus einem Guss klingt und mit ein und derselben Feder geschrieben zu sein scheint, nicht zuletzt auch die Musik der Anderen einverleibt.
Keine dieser Referenzen wird jedoch allzu deutlich ausgestellt, und ebenso wenig wie Naujoks sich in den Credits als Komponist zu erkennen gibt (er zeichnet sich nur für Piano und Gesang verantwortlich), legt er seine Zitate namentlich offen. Das Resultat ist eine offene Musik der Vielen, die das Eigentliche ebenso sehr dem Uneigentlichen öffnet, wie sie es umgekehrt in eine starke eigene Struktur zurücksynthetisieren kann. Dass dem so ist, liegt vor allem daran, dass man es hier mit einer geschlossenen Inszenierung zu tun hat. True Life/In Flames als rein medienreflexives Statement zu Urheber- und Authentizitätsfragen zu lesen, macht keinen Sinn, solange man sich nicht dieser zweiten Seite widmet: der Aufführung eines komplett durchkomponierten und in der Laeiszhalle schließlich mit lebendiger Instrumentierung unter Leitung von Tobias Levin eingespielten Stückes, welches die Wahrheit im Augenblick besingt. Denn gerade in seiner doppelten Verfremdung, im Schritt aufs Bühnenparkett klassischer Musikkonventionen wird Theorie hier auf ganz seltsame Art zu „echter“ Musik zweiter Ordnung.

Dominikus Müller

True Life / In Flames:
1. Chamber Two
2. On to the Next
3. Moments I
4. Diver
5. True Life / In Flames
6. Untitled Piano Take
7. You Are Everything
8. Dancer
9. Moments II