Ursprung – „Ursprung“ CD + LP (Dial/Rough Trade) Release am 21.05.2012

Das Cover zeigt den real brennenden „Ursprung“-Schriftzug vor einer Eislandschaft. Am Anfang war also das Feuer? Nein, am Anfang gibt es keinen Ursprung, kein Einziges aus dem sich alles erklärt.

Da waren Zwei: Freunde, die sich die Bedingungen ihrer Freundschaft selbst und ohne Voraussetzungen schaffen. Ursprung – auf dem Cover in durchgestrichener Type geschrieben – ist ein Projekt von Stephan Abry und Hendrik Weber. Zusammen haben sie einige Zeit verstreichen lassen, an unterschiedlichen Orten, in gemeinem Kammern vom Nordkapp bis zum Walensee. Die Musik, die dabei entstanden ist, verströmt eine Freiheit von der Art, wie sie nie alleine sondern nur mit anderen möglich ist. Im Dialog übersetzen Abry und Weber organische Strukturen in Patterns, ohne deshalb alles bis zur allerletzten Plausibilität auszuformulieren. Manchmal hat man das Gefühl, ein Stück geht dem Ende entgegen, bevor es richtig angefangen hat. Die Fransen und losen Enden sind gewollt und erinnern an Krautrock und Kosmische Musik. Denn auch Abry und Weber geht es um die Flucht vor hierarchischen Anordnungen. Eine „Bewegung des Abfallens“ (Paolo Virno), ein Sich-Entziehen prägt die Musik von Ursprung. „Exodus Now“ heißt ein Songtitel denn auch überzogen programmatisch.

Was passiert, passiert, und Musik ist alles, was der Fall ist. In diesem Sinne übersetzt sich die freundschaftliche Nähe in eine Musik, welche die Intentionen der Musiker ein ums andere Mal zu überschreiten scheint. Das führt gottlob nicht zu jenen Verschwurbelungsexessen, wie sie an Krautrock und manchen seiner heutigen ‚hypnagogischen’ Neuinszenierungen nerven. Denn Abry und Weber verkleistern nichts, die Instrumente klingen transparent und diskret. Aus dem herrschaftsfreien Zusammenspiel von akustischer Gitarre, E-bass, E-Gitarre und Synthesizer schälen sich sodann schwankene Atmosphären heraus. Bestimmte Stimmungen senken sich herab und verflüchtigen sich schon wieder, bevor sie richtig angekommen sind. In der Klangschichtung stehlen sich über Seitenwege schüchterne Chöre oder verhaltene Drones. Sicher sind viele der Sounds historisch codiert, wir denken an Brian Eno, Cluster, Robert Fripp, Harmonia, bei einigen von Abrys Gitarrenpassagen an die schrullige Ambient-Auslegung von Durutti Column und nicht zuletzt an afrikanische Musik. Doch bei aller Zeichenhaftigkeit erscheint diese Musik auf eine eigenartige Art unschuldig und unmittelbar. Nicht nur bei den konkreten Klängen, die von „draußen“ eingelassen werden (einmal beißt ein Hund auf Bambus), geht es um so etwas wie ein nicht-regressives Verhältnis zur Natur. Stücke wie „Ohne Worte“ oder „Seiland“ klingen roh und ungekocht; sie tragen naturalistische Texturen an sich, die sich wölben und zusammenziehen, weiten und straffen. Trotzdem schmeckt es mehr nach Überfluss statt nach Askese, weil Abry und Weber luxuriöse Details mögen: ein süßes Rauschen, ein fernes Roxy-Music-Feeling oder einen suggestiven Bass, der nächtliche Paradiese herbeizaubert. In solchen Momenten dürfen die Kräfte sich verschwenden. Ein wenig ratlos fragt man sich dann: Woher kommen diese ungreifbaren Klänge eigentlich? Nun, die Frage nach dem Ursprung erübrigt sich wie gesagt. Hinter jeder Maske kommt nur eine weitere Maske zum Vorschein. Kosmische Musik eben, die Wahrheit liegt immer andernorts.

Aram Lintzel

Hier das Musikvideo zum Track „Exodus Now“: