Frau Kraushaar & Herr Kratzer – „The Power Of Appropriation“ (Materie Records/Rough Trade) Release am 25. Mai 2012

„Volksmusik für alle!“ oder die Erfindung der Pop-Folklore

Das zweite Album von Frau Kraushaar ist eine Überraschung, sogar für Frau
Kraushaarkenner: Statt eigenwilliger Komposition und dadaistischer Texte, widmet sich die Künstlerin dieses mal verschollenen Lieder aus verschiedenen Kulturen mit ungewöhnlichem Hitpotential.
Frau Kraushaar ist durch halb Europa gereist, hat die traditionelle Weltmusik durchstöbert, durch ihren „krausischen“ Filter laufen lassen und anschließend das Liedgut neu eingespielt. Aneignen statt Nachahmen! Oder wie sie selber sagt: „ Man muss sich das Fremde zum Freund machen!“ oder „ Volksmusik für alle!“. Darauf verweist auch der Titel der Platte: „The Power of Appropriation“ bedeutet auf deutsch die Kraft der Aneignung. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht- sondern leicht, elegant und trotzdem intensiv!
Entstanden sind 14 Songs zwischen Pop-Chanson und Post-Folklore. Gesungen wird in
acht Sprachen: spanisch, russisch, englisch, hebräisch, italienisch, französisch, deutsch
und griechisch. So findet sich auf ihrem Album das Liebeslied eines israelischen Soldaten
genauso wieder, wie das Klagelied italienischer Immigranten; die klugen Weisheiten einer
griechisches Großmutter, aber auch Gassenhauer wie „Istanbul-Konstantinople“. Ein Lied,
das man nach einmaligen Hören einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt.
Trotz der großen Bandbreite an Kultur und Sprache: Frau Kraushaar bleibt immer auf der
Spur, was ein Volkslied im Kern ausmacht und jede Mode überdauern lässt:
Tod, Trennung, Sehnsucht, Heimat und Liebe.
Diskurs und Disko!

Was diese Platte von zeitgenössischen Pop-Produktionen unterscheidet, ist auch die Vielzahl akustischer Instrumente, u.a. Geige, Tabla, Klarinette und ein 200 Jahre altes Piano.
Auch eine Eigenkomposition mit dem Titel „Volver“ mischt sich hier unter die Songs.
Frau Kraushaar, bürgerlich Silvia Berger, wuchs in Bayern auf, bevor sie nach Hamburg zog, um an der Hochschule für Bildende Kunst, Medienkunst zu studieren.
Neben dem ersten erfolgreichen Album „Le Salon is very morbidä“ sorgte sie durch ihre Performances im Hamburger Schauspielhaus, auf Kampnagel, und mit Hörspielen und als Dj im Golden Pudel Klub für Aufsehen.
Sie arbeitete u.a. mit Künstlern wie z.B. Jacques Palminger von Studio Braun und Melissa
Logan von Chicks und Speed zusammen. Arte berichtet über sie in ihrer Sendung Tracks.
Produziert wurde die Platte von Musiker und Produzenten Lutz Nikolaus Kratzer, so
erfolgreich, dass sie ihn mit auf den Titel der Platte nahm.

Die Platte erscheint bei DIE STERNE- Label Materie Records/Rough Trade.
Der VÖ Termin ist am 25.Mai 2012

Hier ein kleiner Teaser:

Stimmen über Frau Kraushaar

Intro:
„Wie einst die Young Marble Giants versteht die in Hamburg lebende Künstlerin die Kunst
des „Simplifying“ perfekt, das Weglassen von allem Unnötigen zugunsten kristallklar
funkelnder Popsongs.“ (Martin Büsser)

Die Zeit:
Der morbidä kraushaarsche Salon ist nämlich vollgestellt, jede Zeit, jeder Stil hat hier Platz – die Besucher müssen eng zusammenrücken, wenn eine neue Stehlampe hineingeworfen wird. (Sebastian Reiher)

Arte TV/ Tracks:
Ihre Bühnenshow verbindet Kunst und Musik. Beeinflusst ist sie vom Dadaismus. ()
Sie sind die Erbinnen der Riot Grrrls: früher machten sie Hardcore Punk, heute machen
sie, was sie wollen.

„Frau Kraushaar, die Konzeptgeberin der Platte, sieht sich der internationalistischen
Musikpolitik verpflichtet. Sie hat das Liedgut unterschiedlicher Länder durchforscht, mit dem Produzenten Herr Kratzer neu eingespielt und nebenbei die Weltmusik umgemodelt.
Trotz vielsprachiger Song-Compilation ist das eben kein globaler Musikantenstadl.
Frau K. will eben nicht vermeintlich authentische Musikelemente exotischer Herkunft nach hegemonialen Marktkriterien aufpimpen und nivellieren.
Ganz im Unterschied zur Weltmusik greift diese Platte Musiktitel von Staaten und Kulturen auf, die jenseits des Zentrums der Popmusik liegen. Heraus kam ein Album, das in seinen Referenzen von Kuba bis Russland reicht.
Kraushaars Blick liegt außerhalb des anglo-amerikanischen Popterritoriums und führt sie
unter anderem in den Nahen Osten. Dort hat sie die eingängige Komposition „Shomer ha
Chomot“ der Militär Band Jerusalem entdeckt und zu einem fröhlichen Stück Pop verwandelt.
Frau Kraushaar aka Silvia Berger ist auch die Sängerin aller Lieder dieses Albums. Ihr Vocal Sound ist nicht der einer klassisch schönen Gesangsstimme – (glücklicherweise) also mehr Melanie als Joan Baez. An Klavier und Schlagzeug wird sie u. a. von Hamburger Prominenz, Carsten Meyer und Jacques Palminger, begleitet. Der Produzent Lutz Nikolaus Kratzer verlieh den Songs ihren speziellen artifiziellen Glanz, so wie ein Fotolabor Fotoabzüge mit Plexi überzieht und edelt.
Zudem spielte er meisterlich eine Vielzahl der Instrumente sowie die gesamte Perkussion
ein. Bereits in seinem Titel, The Power of Appropriation, thematisiert das Album die Gewalt von Aneignungsprozessen. Bedeutet der Begriff doch beides: Aneignung und Enteignung. In ihrem Fall beruht das Interesse an der Transformation internationaler Musik natürlich auf starke Zuneigung. Gleichzeitig weisen sie auf die Ambivalenz der Begegnung mit dem Anderen hin, auf die Gratwanderung zwischen Liebe und dem Drang nach Unterwerfung, zwischen Kolonisierung und Entdeckerlust, geprägt von Faszination.
Dabei sind sie in ihrem Konzept nicht zu streng zu sich selbst: auch eine Eigenkomposition
mit dem Titel „Volver“ hat sich eingeschlichen, die aber bewusst nach einem authentischenStück Folklore klingt.
Übrigens nicht der einzige Titel, der Assoziationen an Filme – hier an Pedro Almodovars
Werk weckt -, auch das Lied „Tabou“ erinnert an einen Filmklassiker: „Tabu“ (1931), gedreht von F.W. Murnau auf der Südseeinsel Bora-Bora.
Die Verwendung des Begriffs Appropriation kann als Verweis gesehen werden, dass Frau
Kraushaar nicht nur Musikerin sondern auch bildende Künstlerin ist. Denn mit Appropriation verbindet man im Kulturbereich vor allem die Kunstrichtung der Appropriation Art. In dieser Gattung der Konzeptkunst, die unter dem Einfluss der postmodernen Theorie steht, imitieren Künstler bewusst andere Künstler und stellen trotzdem Neues her. In Richtung Appropriation geht auch ihr Coverfoto, auf dem sie sich zu einer sitzenden Frieda Kahlo stylt.
Im Unterschied zur Kunstrichtung wollen Kraushaar/Kratzer weniger wie jemand anderer
klingen sondern verwenden fremde Kompositionen als Hommage oder als Ausgangspunkt
für eigene Ideen. Sie adaptieren sie so, als wären es ihre eigenen Stücke. Letztlich ist The
Power of Appropriation eindeutig als Produkt von Frau Kraushaar & Herr Kratzer erkennbar.
Das Album klingt letztlich homogener, als man zunächst vermutet. Kraushaars prägnante
Stimme über einer minimalistischen, leicht elektronisierten Begleitung steht im Vordergrund.
Es ist ein Vergnügen ihr zu folgen, auch wenn es kaum einen Hörer geben dürfte, der alle
vorgesungenen Sprachen beherrschen dürfte.

Justin Hoffmann (FSK)

Tourdaten:

4.5. Köln – King Georg                                                      
12.5. München – Akademie der Bildenden Künste
18.5. Berlin – West Germany
25.5. Hamburg – Golem
14.6. Würzburg – Kellerperle
15.6. Nürnberg – Hemdendienst
18.6. Zürich – Boschbar
28.6. Hamburg – Golden Pudel Klub